Der Artikel gibt neue Einblicke
in den Richtungsstreit zwischen Bakunin und seinen libertären Anhängern auf der
einen und Marx/Engels und ihren Anhängern auf der andern Seite in der Schlussphase
der Ersten Internationalen (IAA). Der historische Kontext
– der Konflikt zwischen Anarchisten und Kommunisten in der Internationale,
insbesondere die Geschehnisse auf dem von Marx manipulierten Haager Kongress
1872 und die europaweite Ablehnung seiner Beschlüsse – wird am Anfang des
Artikels knapp zusammengefasst. Dies ermöglicht dem Leser, den Diskussionsstand
innerhalb der IAA Ende 1872 / Anfang 1873 nachzuvollziehen: die verbreitete Kritik
am Staatsstreich
von Marx – welcher seinen Einfluss auf das zentrale Gremium
der IAA massiv ausgeweitet hatte und diese zu dominieren versuchte – und die
daraus resultierende vielfältige Debatte um eine fällige Neuorganisation der
IAA.
Diese Diskussionen kulminierten im September 1873 auf dem 6. Kongress der Internationale in Genf, der – von den Libertären organisiert – eine föderalistische Mehrheit innerhalb der IAA zutage förderte. Im Ergebnis wurde auf dem Genfer Kongress eine Neufassung der Statuten verabschiedet mit dem Ziel, den Strömungspluralismus innerhalb der IAA zukünftig abzusichern. Aber auch die wachsende Kluft zwischen Bakunin und der föderalistischen Opposition, speziell zu James Guillaume, einem ihrer wichtigsten Organisatoren, wird thematisiert.
Im Hauptteil des Artikels wird
die spannende Debatte (in Abwesenheit Bakunins) um die Existenz und den
künftigen Charakter eines zentralen Gremiums innerhalb der Internationale dokumentiert.
Grundlage der Debatte waren drei konkurrierenden Beschlussvorlagen: 1. Die
Schaffung einer »Zentralen Föderativkommission«, 2. Die Bildung von drei
Kommissionen mit den Geschäftsbereichen Korrespondenz, Statistik und Streiks,
3. Die Beauftragung einer Landesföderation als Geschäftsführerin der
Internationale zwischen den Kongressen. Aufgrund eines Briefzeugnisses ist auch
Bakunins Meinung zu dieser Frage überliefert, welcher sich entschieden gegen
alle drei Optionen aussprach, mit der Begründung man würde so nur bereits
begangene Fehler wiederholen und einem wie auch immer gearteten zentralen
Gremium eine Funktion (und dadurch auch Macht) zusprechen, was, so Bakunin,
letztlich zu einer Wiederholung des eben noch durchlebten autoritären Vorgehens
von Marx führen würde: An die Stelle der Macht, die wir beseitigt haben, würde
ich gar nichts setzen ... Dies war unser erster Axthieb, ein Teil des Gebäudes
stürzte ein, man muss den zweiten, den dritten Schlag ausführen und das Gebäude
des Marxismus wird fallen.
In der Diskussion auf dem Kongress legten zahlreiche Teilnehmer ihre Standpunkte dar. Dabei wird auch deutlich, wie sehr sich die einzelne Positionen und Ansichten voneinander unterschieden: Einige Diskussionsteilnehmer vertraten individualistische Auffassungen, andere die Ideen des kollektiven oder solidarischen Anarchismus. Auch in Fragen der Organisations-Effizienz und -Struktur zentraler Gremien herrschten unterschiedlichste Vorstellungen, wobei spannenderweise zu bemerken ist, dass diese Diskussion auch heute noch in unterschiedlicher Art, aber mit oftmals ähnlichen Argumenten und Standpunkten geführt wird. Die einzelnen Positionen der Diskussionsteilnehmer sollen hier nicht näher thematisiert werden, aber zu erwähnen bleibt, dass zwei der Teilnehmer Standpunkte vertraten, welche Bakunin vorher fast wortwörtlich in einem Brief an besagte Teilnehmer vertreten hatte. Dies zeigt den Einfluss und auch die intellektuelle Autorität welche Bakunin zu eigen war – auch ohne physische Anwesenheit beeinflusste er die Diskussion massiv.
Der Artikel endet mit einer Beschreibung der Pläne Bakunins im Anschluss an den Genfer Kongress, die auf die Schaffung eines konspirativen Zentrums in der südöstlichen Schweiz zielten. Zu Tarnzwecken veröffentlichte Bakunin dabei zwei Erklärungen, in denen er seinen (fiktiven) Rückzug aus der Bewegung verkündete und die sehr unterschiedliche Reaktionen nach sich zogen. Eine spezielle Rolle spielte hierbei ein französischer Agentenbericht, in welchem die Person und der Gesundheitszustand Bakunins in detaillierter und eindrücklicher Weise »von außen« geschildert wird und der in diesem Artikel (im französischen Original und in deutscher Übersetzung) erstmals veröffentlicht wird.
Zummenfassend lässt sich sagen, dass man den Artikel wohl am treffendsten als ein neues, zusätzliches Kapitel zu Wolfgang Eckhardts Bakunin-Buchreihe verstehen kann, welches sich aber auch ohne Vorkenntnisse spannend und verständlich lesen lässt.
Maximilian Martens